Thema des Monats März 2017: Vor 50 Jahren nach Deutschland und Wolfsburg: Robert Fischer kam als sogenannter "Heimkehrer" am 15. März 1967 in die Volkswagenstadt - aktiv in Vereinen und Verbänden - "Ich war gleich zufrieden und bin noch immer zufrieden"

1938 wurde Wolfsburg neben dem Volkswagenwerk gegründet und auf "der grünen Wiese" oder "aus wilder Wurzel" erbaut. In die "Stadt des KdF-Wagens" zogen zuerst Deutsche aus strukturschwachen Gebiete in Deutschland, wie der Hunsrück, Schlesien, Pommern, Westpreußen und der Eifel. Später lebten auch Italiener, Kriegsgefangene, Fremdarbeiter, Wehrmachtsstragefangene und KZ-Häftlinge in der neugegründeten Stadt. Nach dem Zeiten Weltkrieg kamen Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten, Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone - weniger aus den Besatzungszonen der Alliierten - nach Wolfsburg, die wohl ihren Namen durch die Briten wegen des Adelsitzes, der "Wolfsburg", erhalten hat. Der Bau der Mauer hatte zur Folge, dass vorwiegend Menschen aus Italien, aber auch aus Jugoslawien, Spanien und der Türkei  - sogenannte "Gastarbeiter" - hierher kamen. 1972 - nach den Ostverträgen - kam es zu einem starken Zuzug von russlanddeutschen Spätaussiedlern wegen der Arbeitsplätze im Volkswagenwerk und von Wohnungsleerstände in Westhagen. Später kamen auch deutschstämmige Aussiedler aus Rumänien und der Voksrepublik Polen. Fast zeitgleich wurden Menschen aus Tunesien angeworben, und nach dem Fall der Mauer und dem Fall der deutsch-deutschen Grenze siedelten sich viele Deutsche aus den neuen Bundesländern hier an. Aber es gehören auch viele Asylbewerber und Flüchtlinge zur Stadt. Zum 31.12.2016 lebten laut Statistischem Amt Wolfsburg 125.309 Menschen  - davon 62.484 Männer und 62.825 Frauen aus mindestens 147 Nationen (Stichtag 31.12.2015) Nationen in der Volkswagenstadt. Wieviel Spätaussiedler leben in Wolfsburg? Wer ist Spätaussiedler? Sind es nur die in der (ehemaligen) Sowjetunion Geborene, in Rumänien, in Polen? Oder auch ihre Nachkommen? Über die genaue Zahl gibt es nur Schätzungen. Sind es 20.000? Oder 30.000? Fakt ist, dass diese Deutschstämmigen besonders in den achtziger und neunziger Jahren das Bild und Leben von Wolfsburg mitgeprägt haben.

 

Zur Geschichte von deutschstämmigen Aussiedlern haben Arnulf Baumann, Hanns Piwczyk und Manfred Wille ein informatives und lesenswertes Buch mit dem Titel "Spätaussiedler in Wolfsburg - Herkunft - Integration - Perspektive" in der Reihe "Texte zur Geschichte Wolfsburgs" 1987 mit einer 2. Auflage 1990 herausgegben.

 

Robert und Ida Fischer
Robert und Ida Fischer

Auf dem Weg von Kasachstan nach Moskau bei meiner Ausreise blieb unser Zug bei Orenburg stehen, weil die Bremsen eingefroren waren. Wir sind im Zug geblieben, weil wir Angst hatten, der Sabotage angeklagt zu werden. Und als wir in Moskau ankamen, gab es keine freien Zimmer. Mit unserem deutschen Reisepass hat dann die Familie von meinem Bruder Johann dann letztendlich doch noch ein Zimmer erhalten“, berichtet Robert Fischer. Zwei Onkel von ihm, Heinrich Fischer und Emil Tetz, die mit den beiden anderen Onkel Andreas und Christian Tetz zehn Jahre im Arbeitslager am Polarkreis inhaftiert waren, hatten sie nach Moskau begleitet. "Mit den beiden habe ich dann auf dem Bahnhof zwei Tage auf unsere Weiterreise gewartet und auch dort geschlafen", erinnert er sich an seine Fahrt.

Robert Fischer (links) mit seinem Freund Otto in jungen Jahren
Robert Fischer (links) mit seinem Freund Otto in jungen Jahren

„Wir hatten rund zwei Monate auf unsere Fahrkarten gewartet, um nach Moskau zu fahren“, fügt er hinzu. Er könnte noch weitere Geschichten aus seiner Zeit als Deutscher in der damaligen Sowjetunion erzählen. Vor 50 Jahren durfte er aus der UdSSR nach Deutschland ausreisen, nachdem er zahlreiche Ausreiseanträge gestellt hatte. Robert Fischer ist Aussiedler, besser Heimkehrer, denn im Dezember 1945 wurde er mit seiner Mutter Lydia und seinen Geschwistern Lilli, Johann und seiner Zwillingsschwester Ira aus dem Sammellager in Neu-Brandenburg in Deutschland nach Nowosibirsk in Sibirien verschleppt. Sein Vater Johannes war 1938 innerhalb der Sowjetunion verschleppt worden und gestorben.

Robert Fischer (mittlere Reihe Fünfter von links) bei seiner Ausreise mit Verwandten und Nachbarn
Robert Fischer (mittlere Reihe Fünfter von links) bei seiner Ausreise mit Verwandten und Nachbarn

Robert Fischer ist am 6. August 1938 im Dorf
Hudermes im Kaukasus geboren worden. Nach zahlreichen Ausreise-Anträgen durfte er 1967 mit seiner Mutter, seiner Schwester Lilli und seinem Bruder Johann und dessen Familie ausreisen und traf am 10. März 1967 in

Johann Fischer
Johann Fischer

Friedland bei Göttingen ein und kam am 15. März 1967 in Wolfsburg an. „Ich war gleich zufrieden, und ich bin immer noch zufrieden“, stellt er nach 50 Jahren in der Volkswagenstadt zufrieden fest. 1969 heiratete er seine Frau Ida. Das Ehepaar Fischer hat zwei Söhne, Theodor und Christian. Nach seiner Ankunft 1967 kümmerte er sich sofort um Arbeit und fand eine Stelle bei der Baufirma Strabag. „Im Oktober hatte ich aber schon Arbeit im VW-Werk“, so Robert Fischer weiter. Bis zu seiner Rente 1998 war er im Volkswagen-Werk aktiv. 1972 begann er ein Haus in Hehlingen zu bauen und zog 1973 ein. „Wir haben eine tolle Gemeinschaft hier, mit den Nachbarn verstehen wir uns gut. Wir sind in Hehlingen länger als in jedem Ort zuvor“, so der rüstige Rentner.

Robert Fischer, Ayse Darama, Ludmilla Karle, Daniel Stahl (dahinter), Manfred Wille, Niedersachsens Sport-, Integrations- und Innenminster Uwe Schünemann, Artur Stark und Professor Dr. Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des LandesSportBundes Niedersachsen -li
Robert Fischer, Ayse Darama, Ludmilla Karle, Daniel Stahl (dahinter), Manfred Wille, Niedersachsens Sport-, Integrations- und Innenminster Uwe Schünemann, Artur Stark und Professor Dr. Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des LandesSportBundes Niedersachsen -li

Aktiv ist Robert Fischer aber auch ehrenamtlich. So engagiert sich das Ehepaar Fischer vorbildlich in der evangelisch-lutherischen St. Pankratius-Kirche in Hehlingen, zum Beispiel kochen sie für das Erntedank-Fest und hilft beim Frühjahrsputz. Ida Fischer turnt selbstverständlich in der Damen-gymnastikgruppe des TSV Hehlingen mit und schwamm in der neunziger Jahren gemeinsam mit Anna Felsing beim CVJM der Nichtschwimmer-Gruppe für Neubürgerinnen und Einheimische - ein Schwerpunkt des Programms "Integration durch Sport" (damals "Sport für alle - Sport mit Spätaussiedlern) des LandesSportBundes Niedersacshen. Gemeinsam haben sie auch beim SC Concordia getanzt. Seit vielen, vielen Jahren sind sie Mitglied in der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, und Robert Fischer war von 2008 bis 2011 ihr Vorsitzender und hat die Arbeit im Verein neu strukturiert. Dafür erhielt er 2011 die Goldene Nadel und eine Ehrenurkunde der Landsmannschaft. Leuchtende Augen bekommt Robert Fischer, wenn er über seine Unterstützung des Wolfsburger Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) spricht. „Ich helfe gern“, betont Robert Fischer: Die Fahrradsponsorenrundfahrt für Projekte für Kinder und Jugendliche der Weltdienstgruppe, die Pflege beim CVJM-Freizeitgelände, die Volleyball-Freizeitturniere, der Lauf für Frieden und Toleranz 2008 des Programms „Integration durch Sport“ 2008 und die Kulturnacht 2007 in Westhagen, Besuchen in Gefängnissen und viele Aktionen mehr. „Besonders gern erinnere ich mich an die Auszeichnung und Ehrung durch die Landesregierung und den LandesSportBund 2006 mit der Niedersächsischen Sportmedaille, bei der ich den CVJM vertreten durfte“, so Robert Fischer. 2014 erhielt er die Goldene Weltdienstnadel des deutschen CVJM.

Vor der Ausstellung: Michael Kühn (von links), Ida Fischer, Robert Fischer und Michael Meixner
Vor der Ausstellung: Michael Kühn (von links), Ida Fischer, Robert Fischer und Michael Meixner

Eine Herzens-angelegenheit von Robert Fischer ist die Geschichte der Russlanddeutschen, seines Dorfes und seiner Familie. So liest er regelmäßig die Zeitschrift der Lands-mannschaft „Volk auf dem Weg“ und fährt zu landsmannschaft-lichen Treffen. Im letzten Jahr hat er eine sehenswerte Ausstellung über den Lebensweg seiner Vorfahren besonders im Dorf Neuburg erstellt, die zum Beispiel in der Hehlinger Kirche und bei einem Freizeitvolleyballturnier des CVJM in Westhagen gezeigt hat. Meinung von Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Die Ausstellung ist sehr informativ. Wir haben viel über die Geschichte von Russlanddeutschen gelernt. Danke!“