Tag der Heimat: Bund der Vertriebenen - "Erinnerung an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" - Festansprache von Angelika Jahns - „Vertreibung und Deportation ächten – Völkerverständigung fördern“ - Kranzniederlegung - Musik vom Chor der Deutschen aus Russland

(26.09.2021) „Herrlicher Sonnenschein, eine frische Brise und ein wunderschöner Ausblick auf Wolfsburg, besser können die Bedingungen für den Tag der Heimat nicht sein“, freute sich Gerhard Schunn, Vorsitzender des ausrichtenden Bundes der Vertriebenen (BdV). Viele Interessierte kamen – teilweise auch mit dem Fahrrad – zum Mahnmal am Klieversberg. "Ein sehr guter Besuch. Dies zeigt, dass der Tag der Heimat kein Auslaufmodell ist“, so Gerhard Schunn. Er bedankte sich bei den vielen Helferinnen und Helfern – vor allem beim städtischen Geschäftsbereich „Grün“.

 

Die Festansprache von Ratsfrau Angelika Jahns stand unter der Thematik „Vertreibung und Deportation ächten – Völkerverständigung fördern“. Sie betonte: „Wenn Menschen heute zusammenkommen, dann tun sie es deshalb, weil er eine besondere Bedeutung für sie persönlich hat und weil er ihnen bis heute Halt und Richtung gibt.“ Und weiter: „Der Tag der Heimat hat über die persönliche Betroffenheit der Vertriebenen hinaus eine Relevanz in unserem Land!“ Die ehemalige Landtagsabgeordnete hob hervor: „Durch Flucht und Vertreibung leiden und sterben Menschen, es sind schmerzhafte und tragische Einzelschicksale und es sind in ihrer Summe kollektive Biografien, die über ganze Generationen hinweg von dem erlebten Trauma geprägt sind.“ Besonders hob sie noch die Deportation (Vertreibung) der Rußlanddeutschen vor 80 Jahren hervor.

 

Nach der Rede legten Karin Schumacher, Wilfried Andacht, Helmut Kieß und Gerhard Schunn Kränze zum Gedenken nieder. Dabei spielte Frank Lehmann von der Siebenbürger Blaskapelle auf der Trompete das Lied „Ich hatt einen Kameraden“. Musikalisch wurde die Festveranstaltung vom Chor der Deutschen aus Russland unter der Leitung von Emanuel Kaufmann umrahmt.

 

Gerhard Schunn berichtete im Gespräch nach der Feier noch über die große Leistung von Vertriebenen beim Aufbau von Wolfsburg und dem Volkswagen-Werk nach dem Zweiten Weltkrieg. „Mein Großvater hat nach 1945 die Fundamente beim Volkswagenwerk mitgebaut“, so der Vertriebenen-Funktionär stolz.

 

Häufig war Nina Heinz schon beim Tag der Heimat: „Mir gefällt das Miteinander der Landsmannschaften gut. Die Feier hat mich sehr berührt. Sie ist Erinnerung an die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.“ Rudolf Schwarz von der schlesischen Landsmannschaft: „Es war eine würdevolle Veranstaltung.“ Dennis Weilmann, neu gewählter Oberbürgermeister von Wolfsburg: „Der Tag der Heimat ist immer wieder wichtig für die Menschen und Landsmannschaften.“ Kristian Ehinger von den Sudetendeutschen: „Es war eine nach vorn gerichtete Feier, in der deutlich wurde, dass Menschen friedlich zusammenleben müssen – überall.“ Und Helmut Kieß zog sein persönliches Fazit: „Heute war es ein würdiger Rahmen mit Trachtengruppen, der Festansprache, den Liedern und den Fahnen.“

 

Angelika Jahns
Angelika Jahns

Rede der Ortsbürgermeisterin von Brackstedt, Velstove und Warmenau, Angelika Jahns, zum Tag der Heimat 2021 in Wolfsburg

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender Schunn,

 

meine sehr geehrten Gäste des Bundes der Vertriebenen,

 

liebe deutschstämmige Spätaussiedler aus allen deutschen Vertreibungsgebieten,

 

ich bedanke mich von ganzem Herzen für die Ehre, heute hier zum Tag der Heimat 2021 sprechen zu dürfen.

 

Ich bedanke mich aber auch bei Ihnen allen, dass Sie mit mir gemeinsam den diesjährigen Tag der Heimat begehen, insbesondere aber beim Kreisverband der Vertriebenen hier in Wolfsburg, der diesen Gedenktag in jedem Jahr vorbereitet.

 

Der Bund der Vertriebenen begeht seit 1950, dem Jahr der Verkündung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, also bereits seit mehr als 70 Jahren,  meistens im September den Tag der Heimat.

 

Liebe Anwesende,

 

der Tag der Heimat steht in diesem Jahr unter dem Motto: 

 

 Vertreibungen und Deportation ächten – Völkerverständigung fördern“

 

Mit der Wahl dieser Begriffe macht der Bund der Vertriebenen deutlich, wie wichtig die Erinnerung an das Schicksal der Vertriebenen gerade auch für kommende Generationen ist. Es darf niemals in Vergessenheit geraten, welch unsägliches Leid Menschen erfahren mussten, die oftmals nicht nur die Heimat sondern auch ihre engsten Angehörigen verloren haben.

 

Viele Menschen in der ganzen Welt haben sicher geglaubt, nach den Grausamkeiten des 2. Weltkrieges nie wieder mit solch verabscheuungswürdigen Geschehnissen konfrontiert zu werden. Schauen wir  jedoch in diesen Tagen  nach Afghanistan oder auch in andere Länder  müssen wir erkennen, dass des Menschen Werk immer noch von Gier und Macht oder Besessenheit geprägt ist.

 

Dass es noch immer viel zu viele Kriege auf der Welt gibt, durch die Menschen ihr Leben, ihre Heimat oder ihre Angehörigen verlieren.

 

Man kann nicht intensiv genug auf die besonderen Verdienste des BDV hinweisen und eindrucksvoll deutlich machen, mit welch großem Engagement die deutschen Heimatvertriebenen immer wieder auf Krieg, Unrechtregimes, Unterdrückung und Vertreibung hingewiesen haben und leider noch immer hinweisen müssen.

 

Wie ein kleiner Befreiungsschlag fühlt es sich für uns alle an, dass wir heute nach weit über einem Jahr lähmenden Stillstands des gesellschaftlichen Lebens in unserem Land, aber auch auf der ganzen Welt, wieder zusammenkommen dürfen. Über ein Jahr hinweg wurde das Engagement, wurde die Erinnerungsarbeit, aber auch gänzlich unser gemeinschaftliches Wirken, massiv eingeschränkt, das hat uns allen unendlich geschadet!

 

Jetzt, meine Damen und Herren des Vertriebenenverbandes werden Sie Ihre Arbeit wiederaufnehmen, denn sie ist sowohl für Sie als Betroffene als auch für Ihre Nachkommen für das historische Gedächtnis unseres Landes enorm wichtig.

 

Damit ist für die Erlebnisgeneration am Ende eines sehr schweren Lebens tröstlich, dass ihr Schicksal nicht vergessen ist sondern einen festen Ort der Erinnerung in unserem Vaterland hat. 

 

Wenn Menschen zusammenkommen, um den Tag der Heimat gemeinsam zu begehen, dann tun sie es deshalb, weil er eine besondere Bedeutung für sie persönlich hat und weil er ihnen bis heute Halt und Richtung gibt. Hier holen sich viele von Ihnen eine Rückversicherung ihrer Identität.

 

Wir wissen aber auch, dass Menschen zusammenkommen, weil sie über persönliche Betroffenheit hinaus einer Sache oder einem Ereignis Anerkennung und Ehrerbietung zollen möchten. So, wie wir es zusammen in diesen Augenblicken tun. Der Tag der Heimat hat über die persönliche Betroffenheit der Vertriebenen hinaus eine Relevanz in unserem Land!

 

Wir teilen das Gedenken an die verlorene Heimat, an verlorene Menschen, an die Opfer aus den Familien. Wir teilen auch die Zuversicht, dass dieser Teil unserer Geschichte nicht in Vergessenheit gerät!

 

Die harte Zeit der Pandemie hat uns allen vor Augen geführt: Erinnerungskultur, ja Kultur überhaupt, darf nicht zur Disposition stehen, darf nicht durch das Raster der politisch definierten Systemrelevanz fallen.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

richteten wir 2020 unser Augenmerk noch verstärkt auf das Kriegsende, das sich zum 75. Mal jährte, oder auch auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen, deren Verkündung runde 70 Jahre zurücklag, so möchte ich in diesem Jahr unseren Blick mit Schwerpunkt auf einen tragischen Jahrestag richten, der nunmehr 80 Jahre zurückliegt:

 

Die Deportation der Russlanddeutschen

 

Lassen Sie mich dazu etwas ausholen: Nach Kriegsende fand in Ostmitteleuropa, in Ost- und Südosteuropa die größte Völkerverschiebung seit Menschengedenken statt: Flucht, Vertreibung und Deportation von rund 15 Millionen Deutschen aus ihren Wohnungen und Häusern, Dörfern und Städten - aus ihrer jahrhundertelangen Heimat.

 

Mehr als 2 Millionen von ihnen kamen auf der Flucht, während der Vertreibung und infolge dieses Schicksals ums Leben, überstanden die Deportation nicht oder werden für immer vermisst bleiben.

 

Besonders betroffen waren die Deutschen in der Sowjetunion, die 1941 durch den Befehl Stalins, durch  die sog. Deportationsdekrete, in voller Härte.

 

Durch die Deportation wurden mehr als eine dreiviertel Million Russlanddeutsche ihrer sozialen, kulturellen, administrativen und in vielen Fällen auch familiären Strukturen beraubt. Die Menschen wurden nach Kasachstan, an den Ural und nach Sibirien deportiert. Damit endete eine Epoche in der Geschichte der Deutschen in Russland.

 

Der Unrechtsstatus der Deutschen Bevölkerung wurde erst 1964 wieder aufgehoben, indem der „Wiedergutmachungs-Erlass“ vorgaukelte, dass die Deutschen an ihren neuen Wohnorten in den Zielgebieten der Deportation Fuß gefasst hätten.

 

Damit stand fest, dass die Russlanddeutschen nie wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten, sie waren und blieben Entwurzelte.

 

Das Bewusstsein für das Schicksal der Deutschen aus Russland war einer unter mehreren Aspekten für das Leitwort für das Jahr 2021:“Vertreibungen und Deportation ächten – Völkerverständigung fördern“. Vertriebene und Spätaussiedler haben am eigenen Leib erfahren müssen was es bedeutet, Opfer und Leittragende von Krieg sowie von menschenverachtenden politischen und militärischen Schachzügen zu werden. 

 

Deshalb setzt sich der Bund der Vertriebenen für Menschenrechte, für Verständigung, aber auch für die Heimat, für das Bleiberecht, die Erinnerungskultur und Versöhnung ein. Eine der zentralen Forderungen des BDV ist: „Jeder Mensch verdient es, in seiner Heimat dauerhafte Lebensperspektiven vorzufinden.“  Darüber hinaus wird die kodifizierte Verankerung eines weltweiten Vertreibungsverbots und damit die Sanktionierbarkeit von Vertreibungen eingefordert.

 

Mit einem eindringlichen Appell möchte auch ich mich gegen Vertreibung und für Verständigung aussprechen:

 

„Durch Flucht und Vertreibung leiden und sterben Menschen, es sind schmerzhafte und tragische Einzelschicksale und es sind in ihrer Summe kollektive Biografien, die über ganze Generationen hinweg von dem erlebten Trauma geprägt sind.

 

Wir, die wir in einem freien und demokratischen Land leben dürfen, müssen uns dafür einsetzen, dass sich so etwas nicht wiederholt!

 

Wir müssen uns an vergangenes und gegenwärtiges Leid erinnern und wir müssen unseren Anspruch auf Menschlichkeit formulieren und in Gegenwart und Zukunft durchsetzen.

 

Im Namen unserer Stadt Wolfsburg, unserer Bürgerinnen und Bürger, danke ich Ihnen für Ihren unermüdlichen Einsatz für die Verständigung der Völker, für Ihr ehrenamtliches Engagement. Es gilt insbesondere, das Wirken der im Bund der Vertriebenen vereinten Menschen bekannt zu machen – und gebührend zu würdigen.

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.